Malen gegen die Angst

Sagen Sie mal Frau Martin, was fasziniert Sie an der Arbeit als Kunsttherapeutin? Seit einem Jahr arbeitet Malgorzata Martin am Hegau-Bodensee-Klinikum mit Krebspatienten.

Als Kunsttherapeutin sind Sie auch in der Flüchtlingshilfe engagiert. Wie kam es zu Ihrer Tätigkeit hier im Klinikum in Singen?

 

Seit Januar 2016 bin ich in der Palliativ-Station in Konstanz als Kunsttherapeutin angestellt. Durch die Arbeit dort bin ich weiterempfohlen worden und seit Mai 2016 arbeite ich hier in der Onkologie des Hegau-Bodensee-Klinikums.

 

Kunsttherapeutin – Wie kommt man zu so einem außergewöhnlichen Beruf?

 

Ich muss vielleicht vorausschicken, dass ich zusätzlich als Trainerin mit Schwerpunkt auf Persönlichkeitsentwicklung und Kreativität arbeite. Durch einen Klienten, den ich damals hatte, bin ich auf die Kunsttherapie aufmerksam geworden. Durch ihn habe ich erfahren, dass es wichtig ist, Gefühle im Gespräch zu visualisieren. Nicht immer kann man mit Worten ausdrücken, wie es einem geht. Bei der Arbeit mit diesem Klienten habe ich erkannt, dass die Menschen etwas brauchen, das sie greifen können. Meine Ausbildung zur Kunsttherapeutin hat 2012 begonnen.

 

Was sind die Vorteile der Kunsttherapie gegenüber dem klassischen Psychologen-Gespräch?

 

Mit Farben können sich die Menschen viel feinfühliger ausdrücken, als nur mit Worten. Man erkennt, in welcher Gefühlslage sich jemand befindet, wenn er bestimmte Farben wählt. Dunkle Töne nehme ich, wenn es mir schlecht geht. Wenn ich große Wut im Bauch habe, dann greife ich eher zu roter Farbe. Beim therapeutischen Malen geht es nicht um irgendeinen künstlerischen Anspruch, sondern ausschließlich darum, die eigenen Gefühle zu visualisieren und sich buchstäblich vor Augen zu führen, wie es einem gerade geht. So kann man beispielsweise seine eigene Angst bewusster wahrnehmen, indem man sie malt und anschließend mit einem gewissen Abstand, den die Visualisierung erzeugt, betrachtet.

 

Nehmen die Patienten Ihr Angebot immer sofort gut an? Wie reagieren die Menschen in der Klinik, wenn Sie sich als Kunsttherapeutin vorstellen?

 

Seit 2013 bin ich auch in der Flüchtlingshilfe mit meiner Kunsttherapie aktiv. Da ist die Situation ganz anders: Die Menschen haben Langeweile, möchten gerne etwas machen und nicht nur rumsitzen und warten. Diese Menschen kann ich oftmals gar nicht bremsen. Im Klinikum ist das anders. Da treffe ich auf Menschen, die eine harte Diagnose bekommen haben. Da muss ich mich langsam vortasten. Um das Malen geht es zunächst gar nicht. Denn das steht bei den Patienten ja nicht an oberster Stelle ihrer Bedürfnisse. Da geht es um Nähe oder das Bedürfnis, mit jemandem über seine Ängste zu sprechen. An diesem Punkt muss ich die Menschen abholen. Bei den weiteren Terminen passiert es meistens, dass sie ganz von alleine auf mich zukommen und mich nach meinen Malsachen fragen.

 

Wie oft arbeiten Sie mit den Patienten?

 

Ich bin einen Tag in der Woche da und besuche jeden Patienten an seinem Bett. Wie oft ich sie sehe, hängt von ihrer jeweiligen Therapie ab, wie lange sie also im Krankenhaus sind. Auch zeitlich sind die Besuche sehr flexibel. Bei manchen Patienten bleibe ich etwas länger, nehme mir Zeit, wenn ich sehe, dass es ihnen gerade guttut und wir gemeinsam viel erarbeiten.

 

Wie groß ist die psychische Belastung in diesem Beruf für Sie?

 

Am Anfang war die Situation sehr herausfordernd für mich, denn ich bin ein sehr lebensfroher Mensch. In Konstanz, auf der Palliativ-Station, waren die Themen Tod und Sterben allgegenwärtig. Dort habe ich eine Patientin kennengelernt, die im Endstadium krank war. Diese Frau hat mich beeindruckt, denn sie hatte fast immer gute Laune, lachte viel und machte sich trotz allem jeden Tag die Mühe, sich schick anzuziehen und Lippenstift aufzutragen. Beim gemeinsamen Malen war sie es, die mir gezeigt hat, dass ich ihr Schicksal nicht persönlich nehmen soll, sondern dass es einfach gut ist, dass ich sie auf ihrem Weg begleite.

 

Was ist bei der Arbeit mit schwer kranken Patienten wichtiger? Das gemeinsame Gespräch oder das Malen?

 

Reden und Malen sind gleich wichtig. Erst wenn sich die Menschen mir gegenüber öffnen, können wir gemeinsam malen. Das ist das Wichtigste. Es macht mich glücklich, wenn ich sehe, dass mir ein Patient vertraut und sich öffnet. Das heißt, ich habe diesen Menschen erreicht und es geht ihm gut innerhalb der Therapie. Daraus schöpfe ich wiederum neue Kraft und Motivation.

 

Fragen: Viktoria Nitzsche

 

Zur Person:

Malgorzata Martin, 41, arbeitet seit einem Jahr in der Onkologie des Hegau-Bodensee-Klinikums in Singen. Ihre Kunsttherapie bietet sie auch in einem Asylheim an. Aktuell macht sie zusätzlich eine Ausbildung als Heilpraktikerin für Psychotherapie. Ihre Stelle als Kunsttherapeutin an der Klinik finanziert sich durch Spenden. Weitere Informationen gibt es auf ihrer Homepage www.malgorzatamartin.com und auf www.krebszentrum-hegau-bodensee.de.